Jens Spahn hat es wirklich nicht einfach. Glaubt man übereinstimmenden Medienberichten, so wollte der Gesundheitsminister noch am Montagmorgen „positive Geschichten“ betonen. Dies soll Spahn seinen Ministerkollegen im CDU-Präsidium erzähl haben.
Er habe beim Besuch in einem Impfzentrum „nur gut gelaunte Menschen“ erlebt. In „jeder Familie gibt es mittlerweile jemanden, der geimpft sei“, so Spahn. Und auch das Test-Angebot sei „beinahe flächendecken“. Darüber müsse und solle man reden.
Dass diese Aussagen vom deutschen Gesundheitsminister kommen, verwundert. Denn faktisch gesprochen liegt der selbsternannte Organisationsweltmeister meilenweit hinter anderen Ländern zurück. Ob Teststrategie, Testbeschaffung, Verimpfung von viel zu wenig Impfstoff oder der einfachen Tatsache, dass das Land gerade am Beginn einer dritten Welle steht: Deutschland hat im Moment nur wenig Positives zu berichten. Dass immer noch 2-3 Prozent der Novemberhilfen nicht ausgezahlt sind, sei nur am Rande erwähnt.
Und all das nur, weil die Bundesregierung, aber auch die Landesregierungen nicht in Lage waren, konsequent Ansteckungen in der Bevölkerung zu reduzieren. Doch, mit einem Mittel aus dem Mittelalter: Lockdown.
Nach dem Wahldebakel in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, dem Masken-Raffke-Skandal sowie den Schmiergeldaffären um Aserbaidschan mag der Wunsch nach „schönen Geschichten“ innerhalb der Union ausgeprägter denn je sein. Und er mag auch verständlich erscheinen.
Die Taktik dahinter ist auch eindeutig erkennbar: Man versucht, nun die paar schweren Monate zu überbrücken, um sich im Anschluss wieder medial als erfolgreiche Krisenmanager zu präsentieren.
Doch dieses Mal läuft es anders. So einfach wird es nicht. Denn kaum sieben Stunden, nachdem die Meldungen mit den Spahn-Aussagen aus dem politischen Berlin gespinnt wurden, musste der Bundesgesundheitsminister vor die Presse treten. Und ja. Schaut man sich den sonst selbstgefällig wirkenden CDU-Minister genau an, erkennt man, dass er einen Tiefschlag erlitten hat: Die Krawatte leicht derangiert, sein Gesicht versteinert, seine Gesichtsfarbe blass.
Er verkünde den vollständigen Stopp der Corona-Impfung mit dem AstraZeneca-Vakzin. Es handele sich um eine Vorsichtsmaßnahme, nachdem mehrere Fälle von Thrombosen der Hirnvenen festgestellt wurden.
In Deutschland bei 1,6 Millionen Erstimpfungen 7 Fälle. In anderen Ländern kommen weitere Fälle hinzu. Ein Land nach dem anderen stoppte in den letzten Tagen das Oxford-Mittel. Am Morgen, als Spahn noch positive Gefühle verbreiten wollte, Österreich und die Niederlande. Danach musste Deutschland nachziehen. Es folgten am gleichen Tag noch Italien, Spanien und Frankreich.
Und so reiht sich ein weiterer Tiefschlag in das deutsch-europäischen Impfdebakel ein. Nachdem AstraZeneca bereits ankündigte, bis Ende Juni statt 220 Millionen nur 100 Millionen Impfdosen an die EU zu liefern, nun also der vorrübergehende Gesamtstopp der Verimpfung.
Bereits jetzt liegen mehrere Millionen Dosen des Astra-Impfstoffs in den deutschen Lagern, nachdem der Ruf des britisch-schwedischen Produkts von Anfang an ramponiert war. Dabei ist die grundsätzliche Wirksamkeit des Mittels gegeben. Zahlenfehler, schlechte Datenbasis und eine unglückliche Einstufung der STIKO trugen nicht zur Akzeptanz bei.
Der vollständige Impfstopp in zahlreichen Ländern wird die Akzeptanz nicht erhöhen. Hier muss die Politik und Wissenschaft mit höchster Transparenz arbeiten, um die zerstörte Akzeptanz wieder herzustellen.
Gesundheitsminister Spahn weiß, dass er diese Geschichte nicht salopp erklären kann. Er ist sich der Tragweite bewusst, als er vor die Kamera trat und eben sagte er sei sich der Tragweite dieser Entscheidung „sehr bewusst“. Ein Satz, den man ihm glauben mag.
Was der Impfstopp nun für die Impfungen in Deutschland bedeutet, ist nicht abzusehen. Auch Spahn möchte hierzu vorerst keine Aussagen machen. Es sei zu früh, um zu beurteilen, wie und ob die Impfungen verlangsamt würden.
Der geplante Impfstart in den Arztpraxen hingegen dürfte nun in ernsthafter Gefahr sein. Hier war der AstraZeneca-Impfstoff prädestiniert, da er nur geringe Kühlanforderungen stellt.
Knapp 18 Prozent der in Deutschland verimpften Impfdosen stammen von AstraZeneca. Im 2. Quartal wäre der Anteil deutlich gestiegen. Man würde knapp hinter Biontech die zweitgrößte Liefermenge stellen. Der Impfplan der Bundesregierung könnte durch den Impfstopp in ernsthafte Gefahr geraten.
Der SPD Gesundheitsexperte Lauterbach kritisierte daher auch die Entscheidung. Er halte den Impfstopp für einen Fehler. Es gebe keine neuen Daten, die einen Impfstopp rechtfertigen. Spahn hingegen hofft, dass die EMA noch in dieser Woche Prüfungen des Impfstoffs vornehmen würde.
Die Frage die bleibt: Werden sich die Menschen nach diesen neuerlichen Turbulenzen überhaupt noch das Oxford-Vakzin spritzen lassen wollen?