Es war schon paradox: Während in Deutschland der Einzelhandel radikal geschlossen wurden, sind in Frankreich und Luxemburg Geschäfte geöffnet. Dies sorgte dafür, dass der deutsche Friseur keine Arbeit hatte, dafür die französischen und Luxemburger Kolleginnen und Kollegen in Aufträgen untergingen.
Und auch sonst lohnt sich in diesen Tagen der Blick nach Frankreich. Denn wurde in den Medien zuletzt Frankreichs junger Staatspräsident Emmanuel Macron für seinen Wutausbruch („Ich habe diese Wissenschaftler satt, die auf meine Fragen nach anderen Varianten nichts antworten, außer mit einem einzigen Szenario: das des Wieder-Einsperrens.“) belächelt, hält er, im Gegensatz zu der deutschen Bundesregierung Wort. Es gilt in Frankreich ab 18 Uhr eine Ausgangssperre, den Rest des Tages hingegen sind alle Geschäfte geöffnet, an Wochenenden kann man sich (in den meisten Gebieten des Landes) an Fluss- und Seeufern auf ein Bier treffen. Auch Schulen sind bedingungslos geöffnet. Dafür sind Restaurants und Kulturbetriebe geschlossen.
Die 14-Tage-Inzidenz des Landes liegt höher (>200) als in Deutschland (<80), doch diese Werte gelten in Frankreich schon lange nicht mehr als ernsthafter Indikator für strengere oder lockere Maßnahmen. Viel mehr achtet die Regierung auf die Auslastung der Intensivstationen. Seit Wochen werden in Frankreich täglich zwischen 20.000 und 28.000 Neuinfektionen gemeldet. In Paris liegt die Inzidenz bei über 300.
In Deutschland würde man nach aktuellen Kriterien vollständig die Contenance verlieren und mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Lockdown samt Ausgangssperre einführen, in Frankreich aber hat man sich daran gewöhnt.
Der französische Staat bietet jedem Bürger kostenlose Tests an, überall regelrecht. Auf der Straße, in Apotheken, in Testzentren. Das Ergebnis kommt nach wenigen Minuten per Smartphone.
Der Erfolg gibt Macron zumindest in diesen Wochen recht: Waren im Frühjahr 2020 alleine in Paris 2600 Covid-Patienten in Intensivmedizinischer Behandlung, sind es aktuell unter 1000. Die Intensivstationen sind zu 70 Prozent ausgelastet, im Januar starben in Frankreich rund 11.300 Menschen an oder mit dem Corona-Virus. Zum Vergleich: In Deutschland 23.000. Da in Deutschland fast 20 Millionen Menschen mehr leben als beim Nachbarn, sollte man die Todesrate je Million Einwohner betrachten: In Frankreich sterben 169 Menschen pro Million, in Deutschland 277. Das sind rund 40 Prozent mehr als beim Nachbarn – und das, mit viel strengeren Regeln, geschlossenem Einzelhandel und teilweise geschlossenen Schulen.
Als Grund für ihren Erfolg führt die französische Regierung ihre großangelegte Teststrategie an. Dort sind alle Antigen-Schnelltests kostenlos. Auch Speicheltests werden eingesetzt, ähnlich wie in Österreich. Diese sind in Deutschland nicht zugelassen. Es ist aber auch erkennbar, dass mehr Tests nicht zu einer geringeren Inzidenz oder zu einem geringeren Infektionsverhalten führen. Dies führte bereits das Luxemburger Beispiel vor Augen. Oder aktuell auch Österreich. Es stabilisiert das Infektionsgeschehen jedoch offensichtlich.
Und: Es kommt Tempo in die französische Impfkampagne. Startete Frankreich als schlechtestes Land Europas in die Impfkampagne, haben unsere Nachbarn mittlerweile zu Deutschland aufgeschlossen. Man kann sich in Apotheken impfen lassen und es wird sonntags geimpft. Dies ist bei den „35-Wochenstunden-Arbeits“-Franzosen nicht normal. Wurde vorher am Wochenende 2 Tage Impfpause eingelegt, arbeitet man nun 7 Tage in den Impfstationen. Bevor diese Maßnahmen umgesetzt wurden, kam es zu einem weiteren Wutausbruch Macrons. Der habe im Verteidigungsrat erzürnt auf die neuerlichen Lockdown-Forderungen reagiert: „Solange ihr Impfstoff im Kühlschrank liegen lasst, sperre ich die Leute nicht wieder ein„, wird Macron zitiert. Ein Vorgehen, welches in Merkels lethargischer Art undenkbar erscheint.