Altbundespräsident Joachim Gauck befürchtet anders als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die von Russland überfallene Ukraine keine deutsche Kriegsbeteiligung und warnt vor zu großer Ängstlichkeit. „Eine Kriegsbeteiligung durch Taurus sehe ich nicht. Relevante Völkerrechtler und Militärexperten auch nicht“, sagte Gauck dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Samstagausgabe).
Aber Scholz habe nun einmal die Richtlinienkompetenz. „Ich hege die Hoffnung, dass er seine Meinung noch ändert, wie seinerzeit vor der Lieferung der Panzer, obwohl er das derzeit ausschließt.“
Der russische Präsident Wladimir Putin wisse, dass sich viele Deutsche schneller fürchteten als etwa Polen und Franzosen. Und diese Neigung nutze er aus. „Die Furcht ist ein Helfer des Aggressors“, sagte Gauck. „Mein Appell ist, sich nicht zu früh zu fürchten, etwa vor der Drohung Putins mit Atomwaffen.“ Damit könne Putin einen Teil der deutschen Seele schnell beeindrucken. „Aber Angst macht kleine Augen und legt nahe, zu flüchten, obwohl man standhalten könnte.“ Eingeschränkt durch Angst sehe man keine Lösungsmöglichkeiten mehr.
Den Vorstoß von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, über ein „Einfrieren“ des Krieges zu sprechen, hält Gauck für problematisch. Das werde Putins Gefährlichkeit nicht gerecht. „Wer ein aggressives Gegenüber nur durch die Brille eigener guter Absichten betrachtet, kann leicht einen Realitätsverlust erleiden. Man bewertet die Feindschaft des Kriegsbrandstifters nicht exakt genug.“ Ein Einfrieren brächte Gewinne für Putin, er behielte erobertes Land, könnte in Ruhe aufrüsten „und dann wieder zuschlagen“.
Auch Deutschland müsse bereit sein, „die Freiheit und damit den Frieden glaubwürdig zu verteidigen“, sagte der ehemalige Bundespräsident. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) habe eine wichtige Botschaft mit seiner Forderung gesetzt, dass Deutschland wieder kriegstüchtig werden müsse. „Kriegstüchtig heißt nicht kriegssüchtig“, so Gauck.