„Wir müssen davon ausgehen, dass auch hiesige Islamisten und Hamas-Sympathisanten es nicht bei Demonstrationen und verbalen Entgleisungen belassen, sondern konkret gewalttätig werden – nicht nur in Neukölln, sondern landesweit“, sagte Kramer dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Donnerstagausgaben). „Die Lage ist extrem emotionalisiert, es herrscht eine abstrakt hohe Gefährdung.“
Die jüdischen Gemeinden und Organisationen stünden „ganz besonders im Fokus“, sagte der Verfassungsschützer dem RND. Dabei gehe die größte Gefahr von radikalisierten Einzelpersonen aus, die sich durch eine Kurzschlusshandlung „einen Platz im Paradies sichern wollen“. Sie zu identifizieren, sei „wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen“. Kramer sieht eine Ursache auch in der Flüchtlingspolitik. „Seit 2015 fliehen vermehrt Menschen nach Deutschland“, sagte er. „Jetzt tritt die Phase ein, in der viele weder persönliches noch berufliches Fortkommen feststellen. Diese Frustration wird zu noch mehr Gewalt führen.“ Zudem kämen viele Flüchtlinge mit einer entsprechenden Vorprägung. „Antisemitismus gehört in den Herkunftsländern zur DNA.“
Das Problem sei andererseits „selbstverschuldet, weil wir keine wirklichen Fortschritte bei der Integration erzielt haben. Das wissen alle. Aber es passiert nichts.“ Weitere Risiken gingen gegenwärtig vom Wettbewerb der Terrororganisationen und von der Parteinahme des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für die Hamas aus, so Kramer.
Letztere sei „extrem gefährlich“, weil die türkische Regierung Teile der türkischen Community in Deutschland kontrolliere. Hinzu trete der Antisemitismus von Rechts- und Linksextremisten. Juden gälten seit der Coronakrise wieder „als Blitzableiter, die sich hervorragend dazu eignen, Frustrationen loszuwerden“. Der Verfassungsschutzchef äußerte daher Zweifel daran, ob die Erklärung von Kanzler Olaf Scholz (SPD), die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsräson, von den Bürgern getragen werde.
„Staatsräson klingt erstmal schön“, sagte Kramer dem RND. „Aber bei der Umsetzung muss man auch im eigenen Land vorsichtig sein. Denn große Teile der Gesellschaft teilen das nicht.“ Kramer war vor seinem Amtsantritt als Verfassungsschutzpräsident von Thüringen Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland.