„Die Maßnahmen, die wir jetzt ergreifen müssen, sind geeignet, erforderlich und verhältnismäßig“, sagte sie am Donnerstagvormittag in einer Regierungserklärung im Bundestag. Es gebe kein anderes, milderes Mittel als Kontaktbeschränkungen, um das Infektionsgeschehen zu stoppen.
Die Gesundheitsämter seien vielerorts bereits nicht mehr in der Lage, die Infektionswege nachzuvollziehen. Damit steige auch die Gefahr, dass sich immer mehr Angehörige von Risikogruppen anstecken. Die Kanzlerin warnte davor, dass die aktuelle Dynamik des Infektionsgeschehens die Intensivmedizin in Deutschland „in wenigen Wochen überfordern“ werde. Sie verstehe die Frustration und Verzweiflung in den von Schließungen betroffenen Bereichen.
Hygienekonzepte seien aber nicht umsonst erarbeitet worden, nach der Öffnung würden diese wieder gebraucht, so Merkel. Die Kanzlerin und die Regierungschefs der Länder hatten am Mittwoch einen weitgehenden bundesweiten Lockdown beschlossen. Unter anderem sollen ab Montag bis Ende November weitreichende Kontaktbeschränkungen gelten. Unterhaltungseinrichtungen werden geschlossen.
Zudem gilt ein Verbot von Übernachtungsangeboten für touristische Zwecke. Restaurants, Bars, Clubs und ähnliche Einrichtungen müssen ebenfalls schließen, davon ausgenommen sind Take-away- und Lieferdienste sowie Kantinen. Körperpflege-Dienstleistungen wie Kosmetik-, Massage- und Tattoo-Studios sind ebenfalls nicht mehr erlaubt. Ausgenommen sind medizinisch notwendige Dienstleistungen wie Physiotherapie oder Ergotherapie.
Auch Friseure sollen geöffnet bleiben. Schulen und Kindergärten sollen nicht geschlossen werden, ebenso der Groß- und Einzelhandel.
Aufgeheizte Stimmung im Bundestag
Zu Beginn der Regierungserklärung wurde Merkel durch zahlreiche und teilweise massive Zwischenrufe unterbrochen. Nach weniger als zehn Minuten griff Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) ein. Deutschland und Europa seien in einer „außergewöhnlich schwierigen Lage„. Durch das Grundgesetz sei geregelt, dass die Kanzlerin in einer Regierungserklärung zu ihrer Politik Stellung nehme.
Danach können „alle Meinungen geäußert“ werden. Zuvor sei Disziplin geboten.
„Wir befinden uns zu Beginn der kalten Jahreszeit in einer dramatischen Lage„, sagt die Kanzlerin. Merkel erklärte, dass die steigenden Infektionszahlen auch mit steigenden Patientenzahlen in Krankenhäusern einhergehen.
Innerhalb zehn Tagen habe sich die Zahl der intensivmedizinischen Fälle auf mittlerweile 1569 verdoppelt. Diese Dynamik werde die Intensivstationen schon bald überfordern. Man wolle alles daran setzen, Schulen und Kitas geöffnet zu halten. Es brauche hierfür bessere Hygienekonzepte. Sie bittet die Länder, in diesem Punkt „kreativ und fantasievoll“ zu sein.
Die Bundeskanzlerin sagte, sie verstehe die Frustration und Verzweiflung unter Gaststättenbetreibern und Kulturveranstaltern sehr. Die entwickelten Hygienemaßnahmen und Konzepte würden auch wieder gebraucht werden, aber „könnten im gegenwärtigen exponentiellen Infekionsgeschehen ihre Kraft nicht entfalten„.
Merkel betonte mehrfach, die getroffenen Maßnahmen seien „geeignet, erforderlich und verhältnismäßig„. Es sei „richtig, wichtig und unverzichtbar“ dass über die Corona-Beschränkungen diskutiert werde, sagte die Regierungschefin weiter. Trotzdem sei es wichtig, die Grenze zwischen „wahr und unwahr, zwischen richtig und falsch“ klar zu benennen. Lügen, Verschwörungsmythen und Hass schadeten im Kampf gegen das Virus.
Scharfe Kritik aus der Opposition
Die Oppositionsparteien AfD und FDP kritisierten die Regierungspolitik im Anschluss massiv. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sagt, es gebe auch Straßenverkehr, „obwohl dort Menschen sterben„. Und wie man im Straßenverkehr durch Maßnahmen die Zahl der Toten reduziere, „ohne den Verkehr abzuschaffen„, so müsse man jetzt auch die Pandemie bekämpfen.
Er kritisiert, dass die „größten Freiheitsbeschränkungen in der Geschichte dieser Republik“ weiterhin am Bundestag vorbei durch das Corona-Kabinett beschlossen würden. Allein der Bundestag habe das Recht, über Grundrechtseinschränkungen zu entscheiden. „Und sonst niemand„, so Gauland.
Die Schließung von Restaurants, Gastronomie und Kulturbetrieben nannte er „maßlos und unangemessen„.
FDP-Chef Lindner kritiserte das Vorgehen der Regierug massiv, wählte jedoch maßvollere Worte als zuvor Gauland. Er kritisierte vor allem, dass die Freiheitseinschränkungen „ohne Öffentlichkeit und nur von Regierungsspitzen“ getroffen würden.
Lindner sagte weiterhin, man könne ja durchaus zu dem Entschluss kommen, dass Einschränkungen nötig seien, aber die Debatte solle „vor der Entscheidung stattfinden und der Ort der Debatte muss das Parlament sein„.
Auch Linke und Grüne kritisierten das Vorgehen der Bundesregierung. Die Fraktionschefin der Grünen Kathrin Göring-Eckhardt warf der Bundesregierung vor, den Sommer hinweg untätig gewesen zu sein. So sei aus der Infektionskrise eine Vertrauenskrise geworden. Und die Fraktionsvorsitzende der Linken, Amira Mohammed Ali kritisierte, dass der Bundestag erst nach Festlegung der Maßnahmen debattiere und nicht davor.