„Es gibt nichts zu beschönigen“, sagte der SPD-Politiker am Montagnachmittag in Berlin. „Wir alle – die Bundesregierung, die Nachrichtendienste, die internationale Gemeinschaft – haben die Lage falsch eingeschätzt“, so der Minister.
„Die Geschwindigkeit, mit der sich die afghanischen Sicherheitskräfte vor den Taliban zurückgezogen und katapultiert haben, haben weder wir noch unsere Partner, auch nicht unsere Experten so vorausgesehen.“ Die dramatischen Bilder aus Kabul seien „außerordentlich schmerzhaft“. Man werde viele „auch grundsätzliche Fragen“ in der Zukunft stellen und auch beantworten müssen, so Maas. Im Moment komme es aber darauf an, „so viele Menschen wie möglich aus der katastrophalen Lage vor Ort zu retten“.
Die Evakuierung und Hilfsmaßnahmen koordiniere man aktuell „mit Hochdruck“. Die erste Evakuierungsmaschine der Bundeswehr werde „in den nächsten Stunden“ in Kabul eintreffen. Zwei weitere Flugzeuge seien bereits auf dem Weg in die Region. Nach dem Außenminister will sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel noch am Montag zur Lage in Afghanistan äußern.
Ein Statement der Regierungschefin wurde für 18:45 Uhr angekündigt.
„Personal schnell außer Land gebracht“
Maas sagte, dass bereits 40 Mitarbeiter der deutschen Botschaft außer Land gebracht wurden. „Die Tatsache, dass wir innerhalb kürzester Zeit in der Lage gewesen sind, auch aufgrund der guten internationalen Vorbereitung, unser Botschaftspersonal so schnell außer Landes zu bringen, hat gezeigt, dass wir mit der Vorbereitung in der Lage gewesen sind, auch sehr kurzfristig auf die sich in den letzten Tagen dramatisch verschlechternde Situation vor Ort zu reagieren“, so Maas.
Die Evakuierung der Mitarbeiter der US-Armee vorgenommen, die bereits rund einen Tag früher mit der Evakuierung ihres Personals begann. Die Maschinen der Bundeswehr hoben erst am frühen Montagmorgen in Richtung Kabul ab und sind derzeit immer noch nicht gelandet – es besteht keine Landeerlaubnis. Die erste Maschine A400M der Luftwaffe kreist derzeit über dem Flughafen Kabul.
Dort spielen sich dramatische Szenen ab. Verzweifelte Afghanen klammern sich an den Flugzeugen fest, die US-Armee versucht, die Start- und Landebahnen von den Menschen zu befreien. Es gab mehrere Tote.
Vorwürfe gegen Bundesregierung
Die Deutsche Botschaft in Kabul richtet scharfe Kritik am Vorgehen der Bundesregierung. So schreibt Vize-Botschafter Hendrik van Thiel laut Bild in seinem Lagebericht der letzten Woche, „dass den dringenden Appellen der Botschaft über längere Zeit erst in dieser Woche Abhilfe geschaffen“ worden sei. „Wenn das an irgendeiner Stelle diesmal schiefgehen sollte, so wäre dies vermeidbar gewesen“, schrieb der Diplomat demnach weiter.
Das Auswärtige Amt, aber auch das Verteidigungsministerium reagierten erst im letzten Moment. Mit bisher unvorhersehbaren Folgen und Gefahren für die Menschen vor Ort, aber auch für die Bundeswehr, die die Evakuierung nun durchführen muss.
Hat die Bundesregierung die Rettung von hunderten Ortskräften aufgegeben?
Offenbar besteht für hunderte Menschen in Afghanistan kaum noch Hoffnung auf Rettung durch die Bundeswehr. Die Ortskräfte wurden nach einem Medienbericht von ZDF-Frontal aufgefordert, die Safe-Houses unverzüglich zu verlassen. Demnach habe das Magazin mit einem afghanischen Übersetzer in Kabul gesprochen, der mehrere Jahre für die deutsche Bundeswehr in Masar-i-Scharif tätig war. Dieser habe am Montagnachmittag einen Anruf erhalten, bei dem ihm mitgeteilt wurde, dass die Bundesregierung ihm nicht mehr bei der Ausreise aus Afghanistan helfen würde. „Die deutsche Regierung hat keine Möglichkeit mehr, Sie zu retten“, hieß es. Und weiter: „Verlassen Sie sofort das Safehouse!“. Vorsitzende des Vereins „Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte“ bestätigte den Anruf.
Marcus Grotian, der Vorsitzende des Vereins sagte gegenüber dem ZDF-Magazin: „Ich habe 400 Menschen mitgeteilt, dass es für sie keine Hoffnung mehr gibt, und die Safehouses aufgelöst.“
Die Taliban hätten die Safe-Houses bereits entdeckt, sie würden gezielt nach Orts- und internationalen Streitkräften suchen. Der afghanische Übersetzer sagte im „frontal“-Interview außerdem, er bedauere zutiefst, für die deutsche Bundeswehr gearbeitet zu haben.