Nachdem zahlreiche Länder eigene Ansätze zur Umsetzung einer Corona-Warn-App verfolgt haben, haben die deutschen Software-Riesen SAP und Deutsche Telekom nicht nur die Warn-App für Deutschland entwickelt, sondern gleichzeitig einen europäischen Gateway-Server erarbeitet, über den Grenzübergreifend eine Kontaktnachverfolgung per App möglich wird. Die Server-Infrastruktur hierfür wird im Datenzentrum der EU-Kommission verwaltet.
So wird durch diese „Gateway-Server“-Anbindung möglich, dass die landesspezifische Corona-Warn-Apps „miteinander“ sprechen und so eine grenzübergreifende Kontaktnachverfolgung im Infektionsfalle ermöglichen.
Nach und nach haben sich immer mehr europäische Länder an diesen Dienst angeschlossen. Deutschland gilt als Vorreiter, die bereits seit 17.10.2020 angebunden sind. Es folgten zwei Tage später Irland und Italien.
Mittlerweile sind auch Belgien, Dänemark, Finnland, Kroatien, Lettland, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Slowenien, Spanien und Zypern angebunden.
Tschechien folgt zeitnah ebenfalls. Wie uns das Bundesgesundheitsministerium auf Regio-Journal-Anfrage mitteilte, werden derzeit auch die technischen und rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, damit die Schweizer „SwissCovidApp“ ebenfalls mit den EU-Servern kommunizieren kann. Diese soll noch im März 2021 realisiert werden. Damit bleibt nur noch Frankreich als größter direktangrenzender Nachbar sowie Luxemburg übrig, die nicht an das europäische Projekt angeschlossen sind.
Zentral gegen dezentral
Die Gründe, weswegen die französische App nicht mit dem europäischen Gateway „sprechen“ kann, liegt am unterschiedlichen Lagern der Infektionsdaten. Während Deutschland und zahlreiche weitere Länder auf einen dezentralen Ansatz setzen, bei dem die Infektionsdaten von einem Server heruntergeladen und auf dem eigenen Smartphone verarbeitet werden, verfolgt Frankreich den Ansatz, eine größere Datenmenge an einen zentralen Server zu senden und dort zu verarbeiten.
Frankreichs erste App floppt
Frankreich steht bei dem Projekt „Warn-App“ massiv unter Druck. Denn die aktuelle „TousAntiCovid“-App ist bereits die zweite Entwicklung aus französischem Hausem nachdem die erste App, „StopCovid“ genannt, krachend scheiterte. „Das hat nicht funktioniert“ musste Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einräumen. Lediglich 2,6 Millionen Menschen hatten die App heruntergeladen. Zu diesem Zeitpunkt verwendeten bereits 20 Millionen Menschen in Deutschland den SAP-Pendant.
Dabei sollte die „StopCovid“-App ein Prestige-Projekt der französischen Regierung werden, ein Projekt, dass den Anspruch auf technologische Führung in der Welt aufzeigen sollte. Oder wie es Cédric O, Digitalstaatsminister in Frankreich nannte: „Ein Symbol nationaler Unabhängigkeit„.
Man verzichtete vollständig auf die Schnittstellen von Apple und Google, die in jedem Android- und iOS-Gerät verbaut sind, sammelte haufenweise Daten, speicherte sie auf einem zentralen Server. Allein das brachte der Regierung massive Kritik von Datenschützern ein.
Den Gnadenstoß gab der App „StopCovid“ dann der französische Premierminister Jean Castex selbst, der sagte: „Ja, ich dränge die Franzosen dazu, sie zu nutzen, aber ich will ehrlich sein – ich selbst nutze sie nicht.“
TousAntiCovid – alles neu und doch nicht gut
Nach der vernichtenden Kritik folgte die zweite App aus französischer Entwicklung: TousAntiCovid sollte alles besser machen. Ende 2020 wurde die App rund 7,5 Millionen Mal heruntergeladen. Eine Erfolgsgeschichte ist sie damit immer noch nicht. Experten kritisieren immer noch die zentrale Datenspeicherung, außerdem warnen Datenschutzexperten vor Missbrauch der anonymisierten Daten. Insbesondere der zentrale Datenspeicherungsansatz, kombiniert mit der der Entscheidung, auch bei der neuen App auf die Zusammenarbeit mit Apple und Google zu verzichten, fehlen wichtige Schnittstellen, die eine Anbindung an den europäischen Gateway-Server unmöglich machen.
Dass die App nicht mit dem System der europäischen Partner funktioniert, wird auch in Frankreich kritisch gesehen. Und Amnesty International France bezweifelt sogar, dass die App überhaupt in irgendeiner Form effektiv sei.
Es wäre verfrüht, auch bei der 2. App „Made in France“ von einem Rohrkrepierer zu sprechen. Doch alleine die Tatsache, dass täglich rund 15.000 Pendler die Grenze vom Saarland nach Frankreich und umgekehrt passieren, zeigt, wie hoch der Bedarf an einer grenzübergreifenden Zusammenarbeit wäre. Wie uns das Bundesgesundheitsministerium auf unsere Anfrage hin mitteilte, habe man habe sich das Ministerium sowie die App-Entwickler der Corona-Warn-App frühzeitig mit den französischen Ministerien in Verbindung gesetzt „und sind auch weiterhin im Austausch, mit dem Ziel eine bilaterale Lösung zu ermöglichen oder Frankreich zu überzeugen, sich an den EU-Server und dem EU-Rahmen anzuschließen“.
„Aufgrund der Zentralität des französischen Ansatzes und auch der Tatsache, dass die französischen Partner bisher keine wesentlichen Änderungen an der Architektur vornehmen möchte, scheint eine bilaterale Lösung mit Frankreich zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nicht umsetzbar“, teilte uns das Ministerium weiterhin mit.
Für Pendlerinnen und Pendler biete man die deutsche Corona-Warn-App auch im französischen App-Store an, so das BMG abschließend.
Die saarländische Landesregierung, die immer den französischen Geist und die grenzübergreifende Zusammenarbeit lobt, wollte uns zu unserer Anfrage vor einer Woche bis heute keine Stellungnahme übermitteln. Auch nicht auf die Frage, ob man versuche, die französischen Partner davon zu überzeugen, der europäischen Initiative beizutreten. Dies haben glücklicherweise das Robert-Koch-Institut und das Bundesgesundheitsministerium übernommen.
Die Staatskanzlei sowie das Europaministerium des Saarlandes antworteten auf unsere Anfrage zumindest, dass es „voraussichtlich auch zu einer Test- und Nachweispflicht für nicht beruflich bedingte Einreisen nach Deutschland“ kommen wird, nachdem Frankreich diese Maßnahmen bereits einseitig eingeleitet hat.
Somit bleibt eine technische, grenzübergreifende Kontaktnachverfolgung durch die Warn-App ungenutzt und die bereits im letzten Jahr verteufelten Grenzkontrollen werden voraussichtlich wieder verstärkt.
Es lebe das vereinigte Europa.